2013 wurde Christoph Zachariae von Colin M. Winkler, dem Coverdesigner der ÖDLAND-Reihe, interviewt. Das historische Dokument drohte mit der Einstellung des mommono-Blogs im Zuge der DSGVO aus dem Internet zu verschwinden. Wir haben es für Dich gerettet:
Colin M. Winkler: Du bist Filmemacher und Schriftsteller. Wie kam’s zu Deiner Berufswahl?
Christoph Zachariae: Das sind natürlich keine echten „Berufe“, für die man eine Ausbildung beginnen kann und dann ist man in den Bestsellerlisten, oder dreht in Hollywood. Es gibt zwar in Deutschland diverse Ausbildungsstätten, die genau das behaupten, doch ob du an der Filmakademie studiert hast, oder nicht, am Ende stehst du vor der gleichen Situation: Wer Filmemacher oder Schriftsteller sein will, muss sich zuerst einen „Namen“ machen. Das ist hartes Brot und es kann klappen oder eben auch nicht. Beides ist also eher ein Fluch, als ein Beruf. Das muss man wissen, bevor man sich dafür entscheidet. Ich würde also nicht sagen, dass ich diese Berufe gewählt habe. Ich versuche Filme zu machen und ich versuche Bücher zu schreiben. Mehr kann ich für mich im Moment noch nicht in Anspruch nehmen.
Colin M. Winkler: Wenn man die eigentliche Produktion eines Films außer Acht lässt, was unterscheidet für Dich die Arbeit an einem Roman und das Schreiben für ein Filmprojekt?
Christoph Zachariae: Das Schöne am Roman ist, dass weniger Leute involviert sind. Die Geschichten können direkter erzählt werden und dadurch echter und ehrlicher sein. Für einen Film muss Authentizität aufwendig hergestellt werden, weil sie im deutschen Fernsehen immer massenkompatibel sein muss. Die „Authentizität“ deutscher Redakteure ist hochgradig artifiziell. Es gibt beim Roman außerdem keine riesigen Geldsummen, die auf dem Spiel stehen. Wenn man ein Drehbuch für einen Film schreibt, reden immer sofort auch Produktionsleiter, Controller und die Markforschung mit. All diese Leute haben ihre eigene Agenda und ihre eigene Vision, die sich in den seltensten Fällen mit der der Kreativen deckt.
Colin M. Winkler: Wie gehst Du an ein neue Projekt heran?
Christoph Zachariae: Eine neue Idee schreibe ich sofort auf, am besten gleich in längerer Form, als Exposé. Dann lasse ich sie liegen und sehe, ob sie sich durchsetzt. Wenn sie mir irgendwann wieder einfällt und ich sie immer noch gut finde, war es eine gute Idee. Ich überlege mir inzwischen sehr genau, ob ich Zeit in die Entwicklung stecken möchte, denn es dauert lang bis ein Stoff reif ist. Unter Umständen können Jahre vergehen. Und wenn man sich schließlich entscheidet, muss man das Projekt mit voller Energie vorantreiben. Diese Energie muss viele Jahre halten und darf nicht versiegen. Es geht nur ganz oder gar nicht. Wenn man nicht 100%ig überzeugt ist, sollte man ein Projekt nicht angehen.
Colin M. Winkler: Wie entstand die Idee zu ÖDLAND? Ging alles Schlag auf Schlag oder spukte Dir die Idee schon über längere Zeit durch den Kopf, bevor Du das Projekt in Angriff nahmst?
Christoph Zachariae: Die Idee, eine junge Frau durchquert im Liegefahrrad eine verwüstete, feindliche Umgebung, ist uralt. Eine meiner ältesten Ideen. 1999 habe ich an der Filmakademie einen Kurzfilm gedreht, Die Überlebende. Schon damals wollte ich unbedingt eine Endzeit-Geschichte erzählen. Das Liegefahrrad war nicht möglich, deshalb fährt die Hauptfigur noch im Geländewagen durch die Wüste. Auch die Geschichte ist anders, doch Die Überlebende ist eine direkte Vorfahrin von ÖDLAND. Man kann also nicht sagen, dass es Schlag auf Schlag ging. Es dauerte viele Jahre. Ideen entwickeln und verändern sich. Im Fall von ÖDLAND hat sich das Warten gelohnt. Ich weiß, dass ich diese Geschichte 1999 noch nicht hätte erzählen können. Erst jetzt hat sie die Reife erreicht, die sie braucht.
Colin M. Winkler: Die dystopische Welt in ÖDLAND wirkt sehr authentisch. Recherchierst Du viel für Deine Arbeiten?
Christoph Zachariae: Für ÖDLAND habe ich zwei Jahre lang alles über die Zeit des 30-jährigen Krieges gesammelt. Ich war in Ausstellungen und hab mir die historischen Orte angesehen. Es gibt nur wenige Berichte von Söldnern aus dem 30-jährigen Krieg, wie den von Peter Hagendorf. Man muss zwischen den Zeilen lesen, dann ist er aufschlussreich. Peter Hagendorf war Namensgeber für die Figur Hagen. Mich faszinierte die „verbrannte Erde“, (der Begriff hat seinen Ursprung im 30-jährigen Krieg) mit der die Truppen sich am Ende selbst am meisten schadeten, die unbeschreibliche Verrohung der Söldner, die Seuchen und die Hungersnöte, die ganze Landstriche entvölkerten und Menschen in den Kannibalismus trieben, die unterirdischen Verstecke, in denen Bauern zu überleben versuchten. Der 30-jährige Krieg war so etwas wie eine europäische Endzeit. Recherche ist aber immer nur ein Teil der Arbeit. Manchmal liest man Passagen in Romanen in denen Fakten aneinandergereiht werden. Das ist möglicherweise korrekt, liest sich aber belehrend und langweilig. Wichtiger als historische Korrektheit ist die „gefühlte Wahrheit“. Das Beschriebene muss sich echt anfühlen und im Rahmen der Geschichte möglich sein. Als Autor definiert man die Grenzen der fiktionalen Realität und muss sich innerhalb dieser Grenzen bewegen. An historischen Romanen und Filmen wird gern kritisiert: „So haben die damals doch gar nicht gesprochen.“ Wenn man Figuren in einem Film, der z.B. im Mittelalter angesiedelt ist, authentisch reden lassen würde, würden wir kein Wort verstehen. Das heißt, wir haben es immer mit einer Form von Anpassungen und Übersetzung zu tun. Recherche ist wichtig, aber man sollte sie als Inspirationsquelle verstehen, nicht als Gesetzbuch.
Colin M. Winkler: Was würdest Du sagen: Bist Du jemand der einfach drauflos schreibt oder planst und plottest Du im großen Umfang?
Christoph Zachariae: Ich plane und plotte so viel und so genau wie möglich. Aber man weicht hinterher oft genug von der Planung ab, macht Exkursionen ins ÖDLAND und überrascht sich selbst. Man kann sich nie zu 100% an seine Planung halten, weil man immer irgendein Detail übersieht, die Charaktereigenschaft einer Figur unterschätzt, merkt, dass eine Szene doch nicht so stark ist, wie man sich das vorher gedacht oder gewünscht hat, usw. Dann muss man Anpassungen vornehmen. Ich versuche jedoch immer zu meiner Storyline zurückzukehren, denn im luftleeren Raum kann ich nicht leben. Nur Genies wie Stephen King können einfach drauflos schreiben und kommen trotzdem zu einem befriedigenden Ende.
Colin M. Winkler: ÖDLAND wird voraussichtlich fünf Bände umfassen und Teil 2 steht kurz vor seiner Veröffentlichung. War es eine besondere Herausforderung ein so großes Projekt zu planen?
Christoph Zachariae: Man muss gewillt sein, sich über Jahre hinweg intensiv mit der Welt zu beschäftigen, in der die Geschichte spielt. Mega, Hagen und Stellgar sind das Erste, was mir morgens einfällt und das, worüber ich vor dem Einschlafen nachdenke. Tag für Tag, Jahr für Jahr. Und ÖDLAND ist kein Ponyhof. Es ist trist, einsam und sehr traurig. Das muss man aushalten. Wenn man eine Reihe veröffentlicht, hat man seinen Lesern gegenüber eine Verantwortung. Man kann nicht einfach sagen: „Wir machen Schluss nach dem zweiten Buch. Ich hab’ keine Lust mehr.“ Dann hätte man nicht anfangen dürfen. Man muss als Autor ein Versprechen erfüllen. Es hat mich tatsächlich einiges an Überwindung gekostet mich auf dieses Experiment einzulassen, denn ich weiß, dass ich noch mindestens zwei Jahre mit ÖDLAND beschäftigt sein werde. Aber es gibt schlimmere Dinge, als vor dem Einschlafen an Mega zu denken.
Colin M. Winkler: Wie ist es für Dich als Autor, Deine Charaktere und Deine Geschichte mir als Illustrator in die Hände zu geben?
Christoph Zachariae: Heikel. *lacht* Nein, im Ernst, eine sensible Angelegenheit. Man hat seine Vorstellung und wenn die Arbeit des Illustrators nicht der Vorstellung entspricht, kann das natürlich zu Missverständnissen führen. Aber wenn man früh genug mit der Planung beginnt, so wie wir das gemacht haben und sich Illustrator und Autor mit Skizzen, Beschreibungen und Fotos gemeinsam der Figur nähern, dann wird sie zu einem Gemeinschaftswerk. Mit dem Cover des ersten Buchs hat das hervorragend geklappt und deshalb bin mit dem Ergebnis auch 100%ig zufrieden. Es ist am Ende ein Frage des Vertrauens. Im Laufe der Arbeit am ersten Cover habe ich gelernt, dass ich Dir vertrauen kann und für das Cover des zweiten Buches habe ich mich dann auch stärker auf Dich verlassen und wurde nicht enttäuscht. Man muss als Autor lernen loszulassen.
Colin M. Winkler: Was ist Deiner Meinung nach das Besondere an Ödland?
Christoph Zachariae: Ich denke das Besondere an ÖDLAND ist der schmerzhafte Realismus, der die Figuren immer wieder vor Entscheidungen stellt, in denen sie ihre Überzeugungen und Wertvorstellungen über den Haufen werfen müssen, um am Leben zu bleiben. Darin geht ÖDLAND weiter, als andere Endzeit-Romane. Außerdem haben wir unterschiedliche Perspektiven. Das war mir wichtig. Wir folgen nicht nur der Heldin, sind auf ihrer Seite, fiebern mit ihr mit, wollen, dass ihr Aktionen gelingen, dass sie heil davon kommt und nicht aufgibt. In ÖDLAND sehen wir auch die Schwierigkeiten, die der Antagonist Hagen hat und zwar nicht neutral, von außen, sondern durch seine Augen. Diese Perspektive ist gewagt, aber ich wollte sie unbedingt haben, denn erst durch sie wird der Blick auf das ÖDLAND vollständig. Wir teilen seine Probleme, sehen wie er ebenfalls zu überleben versucht. Dadurch fällt es uns als Leser nicht mehr so einfach ihn zu verabscheuen, ihn als Bestie abzustempeln. Was er tut ist widerwärtig und trotzdem können wir es – bis zu einem gewissen Grad – nachvollziehen. In ÖDLAND bekommt das Böse ein Gesicht, wird erschreckend menschlich und wir lernen, dass es im ÖDLAND so etwas wie Gut und Böse eigentlich nicht gibt. Es gibt nur Überlebende.
Colin M. Winkler: Hat Dir an der Arbeit zu ÖDLAND etwas besonders viel Spaß bereitet?
Christoph Zachariae: Ein schöner Moment war natürlich, als die ersten Menschen positive Kritiken bei amazon hinterließen. Man fühlt, da ist jemand, der deine Liebe teilt, der die gleichen Dinge mag, die du auch magst. Das ist seltsam und wunderbar.