In der Filmbranche gibt es den Begriff „on location“. Man findet ihn in Abspännen: „Filmed on location in Los Angeles County, California“. Der Film wurde nicht im Studio, sondern an Originalschauplätzen in L.A. gedreht. Wenn es ein Pendant für die Herstellung eines Romans gäbe, müsste es „written on location“ heißen. VIKTORIASTADT ist „written on location.“ Drei Jahre, von 2001 bis 2004, habe ich in der Spittastraße im Berliner Kiez Victoriastadt gewohnt. (Das c hat mich immer gestört. VIKTORIASTADT sieht einfach „viktorianischer“ aus. Ich werde deshalb im Folgenden nur von Viktoriastadt sprechen.) In dieser Wohnung entstand die Idee zu einer Geschichte, die in den Kellern von Viktoriastadt spielen sollte. Jahre später habe ich sie zur ÖDLAND-Reihe ausgebaut.
Auf der Übersichtskarte kann man erkennen, dass eine geografische Besonderheit Viktoriastadt schon immer zu einer Enklave gemacht hat. Die Gründerzeithäuser sind vollständig von S-Bahn-Linien umgeben. In der Endzeit werden die Wälle mit dem Bauschutt der umliegenden Häuser zu massiven Wehranlagen ausgebaut. Viktoriastadt hat also schon immer ein „Verteidigungsring“ umgeben.
Innerhalb der S-Bahn-Wälle herrscht eine eigenartige Atmosphäre, die schwer zu beschreiben ist. Obwohl der Verkehr auf der Marktstraße quer durch das Gebiet rumpelt, ist man vom Rest der Welt abgeschnitten. Man gehört weder zu Friedrichshain noch zu Lichtenberg, scheint sich außerhalb der Realität und in einer anderen Zeit zu bewegen. Ein Ort, wie geschaffen, für eine spannende Geschichte.
WARNUNG: Der Blogeintrag enthält Spoiler. Wer noch nicht alle Bücher der ÖDLAND-Reihe kennt und sie noch genießen möchte, der sollte die Lektüre des Artikels an dieser Stelle abbrechen. WARNUNG ENDE.

Nest der Scharfschützinnen über dem Transitbereich in VIKTORIASTADT
Ortskundige haben es längst erkannt: Der Haupteingang der Enklave Viktoriastadt, den ich in den Romanen Transitbereich oder Gewächshaus nenne, ist natürlich das Ostkreuz. Wie durch ein Wunder ist es in seiner heutigen Form erhalten geblieben. Hier werden Frauen, die sich der Enklave anschließen möchten, einer „Gewissensprüfung“ unterzogen. Die meisten fallen durch, weil die Große Mutter Ödländerinnen grundsätzlich misstraut. Die Abgewiesenen werden in die Ruinen geschickt und ihrem Schicksal überlassen. Überwacht und beschützt wird der Transitbereich vom alten Wasserturm aus. Hier haben sich Viktoriastadts Scharfschützinnen postiert.

Haus der Mütter in VIKTORIASTADT
Das größte Gebäude im Kiez ist auch in der Nachwelt das wichtigste Gebäude der Enklave. Die Deutsche Rentenversicherung (in der Übersicht oben links) wird zum Haus der Mütter. Mir gefällt der Gedanke, dass die trutzburgartige Fassade das positive Image des Mutterhauses ruiniert. Sehr treffend spiegelt die Front den Charakter der Großen Mutter: Unnahbar und verblendet.

Haus der Mütter – Ostturm
Das „Victoria-Center“ und die Gebäude zwischen Markt-, Hirschberger- und Schreiberhauerstraße gibt es in der Nachwelt nicht mehr. Während der Unruhen wurden sie zerstört. An ihrer Stelle wird der Platz der Viktoria angelegt und die Viktoriastatue errichtet. Die Nike der Siegessäule sollte in den Wirren des Zusammenbruchs vor der Zerstörung bewahrt und „gerettet“ werden. Der Schwertransport erreichte sein Ziel nicht und die goldene Göttin fand auf dem Platz der Viktoria eine neue Heimat.

Ehemaliger Kindergarten in VIKTORIASTADT
Ebenfalls ein wichtiges Gebäude der Enklave: Der ehemalige Kindergarten. (In der Übersicht: Schulhaus, Marktstraße 2-4.) Auf dem Hof findet im Fünften Buch die Entscheidungsschlacht zwischen Söldnern und Frauen statt. Hier richten Ruben, der Rote und sein Packesel Martin Unheil an:
»Der Rote wird sich aus Asche und Blut erheben. Wie ein Schnitter wird er unter die Weiber fahren und Knecht Martin wird treu an seiner Seite stehen. Wir zwei Hübschen werden Unheil anrichten. Großes Unheil. Jede Menge Unheil.« (Martin)

Ehemaliger Kindergarten – Hintertür
Die Söldner ahnen nicht, dass der Kindergarten ein historischer Ort ist. Im Vierten Buch erfahren wir, wie Hagen fünfzehn Jahre vor der Zuspitzung der Ereignisse, im Kindergarten die sechsjährige Mega fand mit einem blutbedeckten Grabendolch in der Hand. Er entführte sie nicht, er rettete das „auserwählte Kind“ und trug es auf seinen Schultern durch einen „See aus Blut“.
»Wir lassen der Krankheit den Vortritt. Wenn sie ihre Aufmerksamkeit nach vorn richtet, fallen wir ihr in den Rücken.« (Lilith)
Durch die Hintertür dringen Lilith, die weiße Flamme des Matriarchats, Jungschwester Yamini und die linientreuen Schwestern und Soldatinnen in den ehemaligen Kindergarten ein, fallen den Söldnern in den Rücken und geben dem Kampf um Viktoriastadt die entscheidende Wendung.

Megas Apartment im Westturm des Mutterhauses – VIKTORIASTADT
Bei ihrer Ankunft in Viktoristadt wird Mega bevorzugt behandelt. Die Große Mutter überlässt ihr die beste Wohnung der Enklave: die obersten Stockwerke im Westturm des Mutterhauses. (Auf der Karte am linken Ende der Hirschbergerstraße.) Mit Dusche und sauberem Bett scheint Mega über den Wolken zu schweben, doch so richtig wohl fühlt sie sich nicht in der neuen Umgebung. Vorbild für Megas Apartment war der als Erweiterungsbau 1953 errichtete, achtgeschossige Turm der Knorr-Bremse AG. Ein auffälliges Gebäude, das die Fantasie anregt. Was verbirgt sich in diesem Turm? Ein Sonnenobservatorium? Ein Dimensionentor? Außerdem würde man natürlich gern dort oben wohnen.

Der „Schrot“ am Südrand der Enklave VIKTORIASTADT
Der Schrotkugelturm, von den Schwestern „Schrot“ genannt, (auf der Karte: Nöldenerstraße 15/16) steht tatsächlich, wie im Vierten und Fünften Buch beschrieben, außerhalb der S-Bahn-Wälle und damit außerhalb des Einflussbereiches der Mütter. Wie der Name erkennen lässt, wurde im Schrotkugelturm Schrot hergestellt. Im freien Fall bilden sich nämlich perfekte Kugeln. Heißes Blei wurde in der Turmspitze tropfenweise fallen gelassen, kühlte auf dem Weg nach unten ab und tauchte als perfekte Kugel in ein Wasserbecken.

Das „Liebesnest“ im obersten Stockwerk des „Schrot“ – VIKTORIASTADT
Im Fünften Buch lässt Malika, die schwarze Flamme des Matriarchats, Lilith und ihre Anhängerinnen im „Liebesnest“ einsperren. Einem Karzer im obersten Stockwerk des Schrot.
Die verputzten Wände des »Liebesnestes« waren dicht mit Einritzungen bedeckt. Namen, Daten, Schüttelreime und Spottlieder, abstrakte Zeichen, gegenständliche Büsten und filigrane Reliefs. Schwestern und Jungschwestern hatten sie im Laufe der Jahre hinterlassen, um sich die Zeit zu vertreiben. (ÖDLAND Fünftes Buch)
Auf der Karte sind weitere, markante Orte der Enklave VIKTORIASTADT zu finden:
- Haus der Schwesternschaft: Betonhaus, Türrschmidtstrasse.
- Wasseraufbereitung: Denkmal Hartungsche Säulen, Stadthausstraße.
- Eingang zum Gefängnisstollen: Betonhaus „Alte Schmiede“, Spittastraße.
- Windkraftanlagen und Ställe: Sportstadion und Spielplätze, Kaskelstraße.
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