ÖDLAND Zweites Buch: Zu Beginn des letzten Drittels flieht Mega vor den Soldatenkindern und folgt der Autobahn im INDU nach Osten. Sie stößt auf einen großen Fluss (die Elbe) und eine zerstörte Autobahnbrücke (die A2 bei Magdeburg), die sie zu einem Umweg mit unabsehbaren Folgen zwingt. Ganz in der Nähe befindet sich ein Wasserstraßenkreuz. Die Stelle, an der der Mittellandkanal die Elbe überquert.
Um ein Gefühl für die Größe der Brücken und die Distanz zwischen ihnen zu bekommen, beschloss ich, mir die Orte genauer anzusehen und Fotos zu machen.
Autobahnbrücke und Wasserstraßenkreuz liegen verhältnismäßig nah beieinander. Deutlich näher, als ich in Erinnerung hatte. Mir wurde klar: Von der Autobahnbrücke aus würde Mega das Wasserstraßenkreuz sehen können. Und wenn sie es sehen könnte, dann würde sie auch erkennen können, dass es ebenfalls zerstört wurde und dann hätte sie sich möglicherweise nicht für diese Richtung entschieden, sondern eine andere Möglichkeit in Betracht gezogen.
Die Aufgabe: Mega darf das Wasserstraßenkreuz von der Autobahnbrücke aus nicht sehen. Doch wie soll das möglich sein? Warum sieht sie es nicht? Die Lösung: Den überschwemmten Flussauen entsteigt dichter Nebel. Die Ortsbesichtigung führte also zu einer Änderung des Wetters im Roman.
Mega wendet den INDU und folgt Nathans Wegbeschreibung. An der ersten Ausfahrt stößt sie auf ein Kieswerk, dass es an dieser Stelle wirklich gibt und sieht, wie die Förderbänder aus dem Nebel ragen.
Auch die „Stahltore“ des Schiffhebewerks heben sich imposant aus dem Dunst. Besonders für einen Menschen wie Mega, der eine derartige „Konstruktion“ zum ersten Mal im Leben sieht.
Der hallende Tunnel unter der Schleusenbühne ist die einzige Möglichkeit den Kanal zu überqueren. Übergänge und Stege wurden blockiert.
Auf der anderen Seite liegt eine kleine Siedlung. Privat- und Reihenhäuser. Insgesamt eher langweilig. Nur ein Haus mit auffälligem Grundriss weckte mein Interesse. Ich wählte es als Vorbild für das „Hexenhaus“.
Im Keller unter dem „ehemaligen“ Kühlraum findet Mega Nathans Funkgerät und seinen Brief. Sie soll auf der ersten Teerstraße hinter dem Deich nach Norden reisen und nach Sternen Ausschau halten, die Vorratslager markieren.
Später erreicht Mega das zerstörte Wasserstraßenkreuz, dass bei meiner Recherche vor Ort natürlich „noch“ ganz war und von zahlreichen Frachtkähnen überquert wurde.
Ich gönnte mir den Spaß es zu Fuß zu überqueren und stellte mich am anderen Ufer unter das Stahlbett des Mittellandkanals, um mir die Geräusche der sich nähernden Schiffsschrauben anzuhören. Ein Fest für jeden Sounddesigner.
Im Roman sind unterschwellige Geräusche schwierig einzubauen, doch als alter Regisseur kann ich nicht aus meiner Haut. Ich sehe, höre und fühle jeden Ort, an dem Mega steht, lauscht und friert und das Dröhnen der Schiffsschrauben, das Tonnen von Stahl und Wasser in Schwingung versetzte, schien mir die namenlose Drohung des Ödlands sehr passend zu untermalen.
In Wolmirstedt, der ersten, kleinen Ortschaft hinter dem Wasserstraßenkreuz, wurde in den letzten Wochen des Zweiten Weltkriegs meine Mutter geboren. Während eines Luftangriffs im Keller eines Bauernhauses.
Meine Großmutter schrie entsetzt, als ihr das Kind in die Arme gelegt wurde, doch nicht, wie man annehmen könnte, wegen der Fliegerbomben. Das kleine, blutige Ding, dass meine Mutter damals gewesen war, war von Kopf bis Fuß behaart und sah aus wie ein Affe.