Der Reisebericht in die salzige Unterwelt Norddeutschlands enthält Spoiler. Leserinnen und Lesern, die ÖDLAND III noch nicht beendet haben, wird deshalb geraten zunächst einen Bogen um diesen Blogeintrag zu machen.
Wir erinnern uns: In ÖDLAND II will Mega die Autobahn überqueren, doch sämtliche Brücken wurden zerstört. Durch die Flut oder etwas anderes. Sie folgt dem Großen Fluss nach Norden auf der ersten Teerstraße hinter dem Deich, um Nathans Verstecke zu finden.
Der Sommer ist vorbei, die Tage werden kürzer und dunkler. Mitten in der Einöde stößt sie auf seltsame Gebäude, umgeben von der Asche verbrannter Wälder.
Während der Konzeption der Endzeitgeschichte wurde mir klar, dass Mega auf einen Ort stoßen soll, dessen Gefährlichkeit die Menschen der Nachwelt vergessen haben.
Denn bei einem Systemkollaps würde jeder Komfort über Nacht verschwinden. Dinge wie Essen, Strom und Treibstoff wären von einem Tag auf den anderen nicht mehr verfügbar. Auf der anderen Seite gäbe es aber Relikte, die den Menschen erhalten bleiben würden. Altlasten, die man in massiven Stahlbehältern und tiefen Stollen verstecken müsste. Würden die Menschen der Nachwelt Generationen später noch wissen, was dort unten versteckt worden ist? Würden sie wissen, dass sie sich in Gefahr begeben, wenn sie sich diesem Ort nähern?
Der Dokumentarfilm INTO ETERNITY macht sich Gedanken zu der Frage: Wie muss ein Endlager gekennzeichnet werden, damit Menschen auch in tausend Jahren noch herausfinden können, dass es gefährlich ist. Denn niemand kann heute sagen, ob Menschen in tausend Jahren noch die Schriftstücke lesen können, die wir heute verfassen oder ob die Daten, in der Form, wie wir sie heute produzieren, überhaupt noch lesbar sein werden.
Von Sprachwissenschaftlern, Designern und Architekten gibt es die absurdesten Vorschläge zu dem Thema: Von kryptischen Icons, die schon heute niemand verstehen würde, über die Gründung eines Geheimordens dessen Aufgabe es wäre, das Wissen um die Gefahren der Radioaktivität von Generation zu Generation weiterzugeben, bis hin zu Landschaftskunst: Gewaltige, ringförmige Wälle bedeckt mit rostfreien Stahlstacheln. Eine Mischung aus Panzersperre und toter Evolution. Doch könnten die Maßnahmen die Menschen der Nachwelt davon abhalten die geheimnisumwobenen „Grabkammern“ der Altvorderen zu öffnen und den „Fluch der Pharaonen“ zu entfesseln? Würden die Warnungen die Neugier zukünftiger Menschen nicht erst recht anstacheln? Tatsache ist, dass Geheimnisse Menschen schon immer angezogen haben. Wahrscheinlich ist, dass sie dieselben Fehler machen würden, die wir gemacht haben. Sie würden die Büchse der Pandora öffnen.
Ein Merkmal haben alle Überlegungen zur Kennzeichnung von Endlagern gemeinsam: Sie wurden bisher nicht umgesetzt und im Chaos eines Zusammenbruchs würde niemand mehr an sie denken.
Um mich besser in die Situation der Bewohner des Salzstocks hineindenken zu können, entschloss ich mich zu einer Besichtigung des „Erkundungsbergwerks“.
Offizielles Erinnerungsfoto aus dem „Freizeitpark“ Gorleben:
Ich falle etwas auf, da ich zu spät kam und der einzige war, der noch am Helm rumfummelte, während der Rest der Gruppe schon über Druckausgleich und Bewetterung fachsimpelte.
Zur vorschriftsmäßigen Sicherheitausstattung jedes Besuchers gehören: Stahlkappenstiefel (besser zwei Nummern zu groß, als eine zu klein), schicker, einteiliger Overall in signalrot, (damit man im Stollenlabyrinth nicht verloren geht), Helm mit Kopflampe (ganz wichtig), ein praktisches Sauerstoffgerät im Handtaschenformat mit Atemluft für 20 min (allein der Weg im Fahrstuhl auf die 1000m Sohle hat 20 min gedauert) und ein Dosimeter. Kein Witz, ein Dosimeter, das die Strahlenbelastung in Millisievert anzeigt, der man während des Aufenthalts ausgesetzt ist. Und das, obwohl (offiziell zumindest) noch gar kein radioaktiver Abfall eingelagert wurde. Ich vermute, dass die Maßnahme eher der Beruhigung unserer Nerven dienen sollte. Um es gleich vorweg zu nehmen: Mein Dosimeter hat hinterher nichts angezeigt.
Der Weg zum Fahrstuhl erinnerte mich an Jodie Fosters Gang zur japanischen „Transportmaschine“ in ‚Contact‘. Ich weiß auch nicht warum.
Im Salzstock herrschte hektische Betriebsamkeit und erstaunlich viel Verkehr. Es gab sogar Ampeln, an denen man als Fußgänger besser stehen blieb, wenn man nicht von Bohrkopffahrzeugen, Baggern oder Jeeps überrollt werden wollte.
Ich habe in ÖDLAND III nur die rote Ebene berücksichtigt, weil alles anderes zu kompliziert geworden wäre.
Die Werkstatt konnte praktischerweise an derselben Stelle bleiben, an der sie schon immer gewesen war, das Gewächshaus wurde im ehemaligen Lager errichtet, die Arbeitsräume wurden zur „Strandbar“ umfunktioniert, Dr. Maximilians Separee wurde im ehemaligen Tanklager (rechter Bildrand) erbaut, der allgemeine Wohnstollen wurde im Grubenwehrraum errichtet, der geschützte Bereich in der Bohrabteilung, im nach links oben führenden Stollen haben die Bewohner Krankenstation und Quarantäne untergebracht, aus der sogenannten „Füllortstrecke“ wurde der Versorgungsstollen mit Essensausgabe und Schwarzem Brett. Die gerade Verbindungsstrecke zwischen Bohrabteilung und Dr. Maximilians Refugium nannten die Bewohnern der dritten Generation „Hauptstollen“.
Obwohl es sich um Gestein handelt, ist der gesamte Untergrund in „Bewegung“. An Messpunkten auf „Stoßkanten“, lässt sich die „Strömungsgeschwindigkeit“ des Salzes ablesen. Sie ist nicht sehr stark, nur 0,1 bis 0,5 Millimeter im Jahr, doch im Laufe der Jahre summieren sich die Werte und nicht alle Stellen sind gleich schnell. Tektonische Bewegungen sind das Hauptproblem eines Endlagers im Salz. Zugänge könnten in tausend Jahren z.B. einfach verschwunden sein.
Das rieselnde Salz bildete Dunstschleier, hindert aber nicht am Atmen. Tatsächlich wirkt es therapeutisch und „reinigt“ die Lunge wie ein Solebad. Man darf nur die Flüssigkeitszufuhr nicht vergessen. Die geringe Luftfeuchtigkeit trocknet einen langsam aber sicher aus.
Feiner Salzstaub macht die Stollenböden zur Mondoberfläche.
Atemluft wird von Wetterrohren in konstanter Geschwindigkeit durch die Stollen gedrückt.
In den Seitengängen der Werkstatt versteckt Mega den INDU.
Wenn sie mitten im Februar mit den Söldnern wieder ins ÖDLAND aufbricht, herrscht tiefer Winter. Gefrorene Schwemmflächen und schneebedeckte Deiche säumen den Weg der Reisegruppe.
Ewiger Winter. Endlose Stille.